Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen?

Die Aussage „Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen“ hat eine lange und komplexe Geschichte. Sie wurde erstmals im 19. Jahrhundert von dem Dichter und Philosophen Emanuel Geibel geprägt und später von verschiedenen Politikern und Denkern in Deutschland verwendet, um die Vorstellung von Deutschlands Überlegenheit und Führungsrolle in der Welt zu betonen.

Geibel, der in seiner Zeit als einer der führenden Vertreter des deutschen Kulturkonservatismus galt, schrieb den Satz ursprünglich in einem Gedicht mit dem Titel „Deutschlands Beruf“, das 1871, unmittelbar nach der Gründung des Deutschen Reiches, veröffentlicht wurde. Das Gedicht war eine Hommage an die Einheit und Stärke Deutschlands und betonte die Verantwortung Deutschlands, eine führende Rolle in der Welt zu spielen.

Im Laufe der Zeit wurde die Aussage von anderen Persönlichkeiten in Deutschland aufgegriffen und umgedeutet, um politische Ziele zu verfolgen. Insbesondere im nationalsozialistischen Deutschland wurde der Satz als Ausdruck des Rassismus und des Imperialismus interpretiert, um die Vorstellung von Deutschlands Überlegenheit und Dominanz zu rechtfertigen. Die Nazis benutzten den Satz, um ihre rassistischen und imperialistischen Vorstellungen von einer „arischen Herrenrasse“ und der Unterwerfung anderer Völker zu legitimieren.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Satz aufgrund seiner Verwendung durch die Nazis zu einem Symbol für die dunkle Vergangenheit Deutschlands. In der Nachkriegszeit wurde er weitgehend vermieden und als Ausdruck der nationalsozialistischen Ideologie verurteilt. Die deutsche Bundesrepublik, die in den 1950er Jahren gegründet wurde, legte ihren Fokus auf eine offene und demokratische Gesellschaft, die sich von autoritären und aggressiven Tendenzen distanzierte.

Heute wird die Aussage „Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen“ in Deutschland in der Regel kritisch betrachtet und als Ausdruck von Chauvinismus und Imperialismus abgelehnt. Die meisten Deutschen sind sich bewusst, dass Deutschlands Vergangenheit von den Verbrechen des Nationalsozialismus überschattet wird und dass die Vorstellung von Deutschlands Überlegenheit und Führungsrolle in der Welt eine gefährliche und falsche Vorstellung ist.

Um so wichtiger ist es, dass gerade auch wir Deutschen uns immer wieder bewusst machen, dass es DIE überlegene Kultur nicht gibt, sondern nur verschiedene Ausdrucksformen von menschlichen Werten und Traditionen. Es ist bedeutsam, dass sich alle Menschen respektvoll begegnen und voneinander lernen.

Insgesamt ist die Aussage „Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen“ ein Beispiel für die Macht der Sprache und wie sie dazu verwendet werden kann, politische Ziele zu verfolgen. Obwohl der Satz von einigen als Ausdruck von Stolz und Selbstbewusstsein betrachtet werden kann, hat er in der Geschichte Deutschlands auch dazu gedient, autoritäre und aggressive Tendenzen zu rechtfertigen und zu legitimieren. Heute muss Deutschland seine Vergangenheit akzeptieren und sich auf eine friedliche und demokratische Zukunft konzentrieren, die auf Zusammenarbeit und Toleranz basiert.


Ausgabe 3 / 20.03.2023