Buchpaläste oder Kompaktformat? Deutschlands größte Buchketten im Strategieduell

Buchpaläste oder Kompaktformat? Deutschlands größte Buchketten im Strategieduell

Hugendubel im Wandel seit 2010 – vom Großhaus zum flexiblen Netz

Wer Anfang der 2010er-Jahre eine Hugendubel-Filiale betrat, stand oft in einem buchstäblichen Tempel der Literatur: mehrstöckige Häuser in Toplagen, Lesecafés, weitläufige Treppenhäuser, großzügige Aufenthaltsflächen. Doch um 2011 zeichnete sich ein Kurswechsel ab. Hohe Mieten in den Innenstädten, steigende Betriebskosten und ein verändertes Kaufverhalten – geprägt von Online-Shopping und kürzeren Ladenbesuchen – führten dazu, dass die Geschäftsführung den Rotstift ansetzte.

Viele Großflächen verschwanden oder wurden drastisch verkleinert. In Berlin-Steglitz schrumpfte die Verkaufsfläche um die Hälfte, in Frankfurt-Hessencenter sank sie von rund 1.200 auf 450 Quadratmeter. Besonders symbolträchtig war der Umbau des Münchner Flagships am Marienplatz: von 3.600 auf etwa 1.200 Quadratmeter – weniger als ein Drittel der ursprünglichen Größe. Stuttgart verlor sein großes Innenstadt-Haus komplett, als Hugendubel dort das Konzept der „kleineren, effizienteren Flächen“ offiziell einläutete.

Parallel wuchs das Shop-in-Shop-Modell: kleine Verkaufsinseln von 30 bis 50 Quadratmetern in Kaufhäusern wie Galeria, die schnell eröffnen und bei Bedarf ebenso schnell wieder schließen können. Bis 2024 zählte Hugendubel 74 solcher Mini-Filialen. Neu eröffnete Standorte wie das Berliner Europa-Center mit etwa 1.100 Quadratmetern zeigen, dass Hugendubel noch auf eigenständige Läden setzt – nur eben in moderaterer Größe. Der rote Faden: lieber viele kleine Inseln als wenige teure Paläste.

Thalias Gegenstrategie – groß denken, groß bleiben

Thalia verfolgt seit Jahren einen anderen Kurs. Zwar testet auch der Marktführer verschiedene Formate – etwa Pilotfilialen mit 300, 800 oder 1.400 Quadratmetern – doch in den wichtigsten Lagen hält man an großzügigen Flagships fest. Die Philosophie: Die Filiale ist nicht nur Verkaufsfläche, sondern Erlebnisraum und kultureller Treffpunkt.

Das zeigt sich in Projekten wie der Kölner Filiale am Neumarkt mit 3.000 Quadratmetern über drei Etagen, dem 1.700 Quadratmeter großen Neubau in der Hamburger HafenCity oder dem geplanten 2.500 Quadratmeter großen Haus auf der Frankfurter Zeil, das 2026 eröffnen soll. Diese Standorte bieten Eventflächen, Cafés und ein erweitertes Non-Book-Sortiment – vom Spiel bis zur Papeterie.

Als klarer Marktführer im deutschsprachigen Raum mit über 500 Buchhandlungen (inklusive Partnern wie Orell Füssli) kann Thalia solche Flächen langfristig halten. Die Verhandlungsmacht als Ankermieter in Toplagen verschafft bessere Mietkonditionen, und das Umsatzvolumen stützt die hohen Fixkosten. Während Hugendubel die Fläche schlank rechnet, investiert Thalia in die Strahlkraft des großen Auftritts.

Firmenpolitik und Selbstverständlich

Hugendubel betont heute stärker Nachhaltigkeit und lokale Verankerung. Initiativen wie wiederverwendbare Transportbehälter, papierlose interne Abläufe oder die Unterstützung lokaler Handelsnetzwerke gehören ebenso zum Profil wie die Pflege einer Leserszene über Plattformen wie LovelyBooks. Die Verkaufsfläche dient eher als kompaktes Kompetenzzentrum für Beratung und Sortimentsstärke – die große Geste weicht der funktionalen Präsenz.

Thalia positioniert sich als kultureller Schwergewichtspartner. Die Kette ist in der Leseförderung präsent, unterstützt große Literaturfestivals und setzt mit mehreren tausend Veranstaltungen pro Jahr auf die Filiale als Bühne. Kritiker monieren gelegentlich die zentrale Einkaufsmacht oder harte Konditionen gegenüber Verlagen, doch die Unternehmensführung hält an der Rolle als „Erlebnisbuchhändler“ fest, der Besucher zum Verweilen einlädt.

Zwei Wege in derselben Branche

Im Stadtbild werden die unterschiedlichen Strategien deutlich. Hugendubel taucht heute an mehr Orten auf – oft kleiner, oft als Teil eines anderen Geschäfts – und passt seine Präsenz flexibel an. Thalia konzentriert sich auf die Leuchttürme, die wie kulturelle Fixpunkte in der Innenstadt wirken. Für Kundinnen und Kunden bedeutet das eine Wahl zwischen kompakter Effizienz und großzügigem Erlebnis. Beide Konzepte sind Antworten auf denselben Marktdruck – und beide zeigen, dass der stationäre Buchhandel auch im digitalen Zeitalter mehr als nur eine Verkaufsfläche sein will.

Mark Petersen