Die Klagewelle gegen die Presse – Wie Patentstreitigkeiten den Journalismus bedrohen

Die Klagewelle gegen die Presse – Wie Patentstreitigkeiten den Journalismus bedrohen

In den vergangenen Wochen haben mehrere US-Medienhäuser unerwartete Post von Anwaltskanzleien erhalten: Klageschriften wegen angeblicher Patentverletzungen. Betroffen sind unter anderem Gannett (zu dem die USA Today gehört), die Guardian Media Group sowie eine Reihe mittelgroßer Verlagshäuser in den Bundesstaaten New York, Illinois und Texas. Der Vorwurf: Die Verlage sollen bestimmte Technologien für Online-Werbung und Rich-Media-Formate (also interaktive Anzeigen, eingebettete Videos oder dynamische Banner) genutzt haben, ohne die dafür nötigen Lizenzen zu besitzen.

Hinter den Klagen steht ein bislang kaum bekanntes Unternehmen namens Rich Media Club LLC, das sich nach eigener Aussage auf die „Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte“ spezialisiert hat – Kritiker nennen es ein klassisches „Patent-Troll-Unternehmen“. Gemeint sind Firmen, die Patente aufkaufen, selbst keine Produkte herstellen, aber mit Hilfe dieser Patente systematisch Klagen einreichen, um hohe Vergleichszahlungen zu erzwingen.

Ein Schlag gegen eine ohnehin angeschlagene Branche

Gerade die Nachrichtenbranche trifft diese Entwicklung ins Mark. Viele Verlagshäuser kämpfen seit Jahren mit sinkenden Anzeigenerlösen, sinkenden Abozahlen und der Konkurrenz durch Plattformen wie Google oder Facebook. Die neuen Klagen kommen also zu einem Zeitpunkt, an dem Redaktionen ohnehin finanziell am Limit arbeiten.

Gannett-Sprecherin Sarah Morrison nannte die Klage „eine Attacke auf die freie Presse durch technische Winkelzüge“. Auch Vertreter des Guardian betonten, man sehe „keine Substanz“ in den Vorwürfen und werde sich entschieden verteidigen. Doch selbst wenn sich die Klagen als haltlos herausstellen sollten, bleibt der finanzielle und juristische Aufwand enorm: Anwälte, Gutachten, Prozesskosten – alles Summen, die kleine und mittlere Redaktionen kaum stemmen können.

Der mediale Dominoeffekt

In den USA warnen Journalismus-Forscher bereits vor einem „chilling effect“, also einer einschüchternden Wirkung solcher Verfahren. Denn je mehr Ressourcen in juristische Abwehrkämpfe fließen, desto weniger Geld bleibt für Recherche, Reportagen oder investigative Arbeit. Einige kleinere Regionalzeitungen haben bereits angekündigt, sich lieber außergerichtlich zu einigen, um hohe Prozesskosten zu vermeiden – auch wenn sie die Vorwürfe für unbegründet halten.

Langfristig könnte das bedeuten: Noch mehr Nachrichtenwüsten („news deserts“) – also Regionen ohne lokale Presse. Diese Entwicklung hatte sich ohnehin schon beschleunigt: Laut einer neuen AP-Studie haben in den letzten fünf Jahren mehr als 130 Lokalzeitungen ihre Arbeit eingestellt. Wenn nun zusätzlich Patentstreitigkeiten Ressourcen verschlingen, könnte sich der Rückzug des Journalismus aus ländlichen Gebieten weiter beschleunigen.

Wenn Technologie zur Waffe wird

Der Kern des Problems liegt in einem System, das Patente zwar schützen, aber auch missbrauchen lässt. Viele dieser Streitfälle drehen sich um weit gefasste Software-Patente – etwa auf das Einbinden interaktiver Anzeigen oder die Art, wie Nutzerverhalten auf Webseiten analysiert wird. Solche Technologien sind heute Standard in fast jedem Online-Medium.

„Wenn ein Algorithmus, der auf Klicks reagiert, schon patentiert ist, dann hat praktisch jede Webseite ein Problem“, erklärte der Technologierechtler Aaron S. Bloom von der University of California. „Das öffnet Tür und Tor für eine juristische Industrie, die von Angst lebt.“

Mehr als nur ein Rechtsstreit

Die Patentklagen gegen Medienhäuser sind also nicht bloß ein technisches Detail – sie berühren Grundfragen der Pressefreiheit. Wenn große oder kleine Verlage durch juristische Dauerfeuer gelähmt werden, wird der öffentliche Diskurs verengt. In einer Zeit, in der Demokratie auf verlässliche Informationen angewiesen ist, droht daraus ein ernsthaftes strukturelles Risiko zu werden.

So wirkt diese Klagewelle wie ein Menetekel für den Zustand der amerikanischen Medienlandschaft: Ein angeschlagenes System, das um seine Unabhängigkeit kämpft – und dabei immer neue Gegner findet.

Mark Petersen