China überholt die Sonne – wie das Reich der Mitte in der Energiewende Tempo macht

Lange galt China als Inbegriff der fossilen Energieabhängigkeit: rauchende Schornsteine, Kohleminen, Smog über Millionenstädten. Doch während Europa und die USA noch über den richtigen Weg zur Klimaneutralität streiten, vollzieht sich im Reich der Mitte eine erstaunliche Wende. Innerhalb weniger Jahre hat China die globale Führungsrolle beim Ausbau erneuerbarer Energien übernommen – und das in einem Tempo, das selbst Fachleute überrascht.
Rekordtempo beim Ausbau
Allein im Jahr 2024 installierte China Stromerzeugungskapazitäten von rund 429 Gigawatt, davon mehr als vier Fünftel aus Wind- und Solarkraft. In den ersten Monaten 2025 kamen weitere 268 Gigawatt hinzu. Die Regierung in Peking hat ihre eigenen Ziele längst übertroffen: Das ursprünglich für 2030 angesetzte Ausbauziel wurde bereits erreicht. Auch die Investitionen sind gewaltig. Mit über 600 Milliarden Dollar im Jahr 2024 flossen mehr Mittel in saubere Energieprojekte als in jedem anderen Land der Welt.
Diese Expansion zeigt Wirkung. Erstmals übertrafen Wind- und Solarkraft im Frühjahr 2025 die Stromerzeugung aus Wasserkraft. Und auch die CO₂-Emissionen scheinen erstmals zu sinken – ein vorsichtiges, aber symbolträchtiges Signal.
Das Paradox der Kohle
Doch der grüne Aufschwung hat seine Schattenseiten. Parallel zum Boom der Erneuerbaren entstehen weiterhin neue Kohlekraftwerke. Sie dienen offiziell der Netzstabilität, sind aber auch ein politischer Kompromiss: In den Kohleprovinzen hängen Millionen Arbeitsplätze an der alten Energie. So kommt es, dass China heute zugleich Weltmeister im Solarausbau und im Neubau fossiler Kraftwerke ist – ein Widerspruch, der die Glaubwürdigkeit seiner Klimaziele auf die Probe stellt.
Die Grenzen des Wachstums
Ein weiteres Problem ist die Infrastruktur. In vielen Regionen werden Windräder und Solarfelder zwar im Rekordtempo errichtet, doch der erzeugte Strom kann oft nicht vollständig genutzt werden. Netzengpässe führen dazu, dass bis zu sechs Prozent der Solar- und fünf Prozent der Windenergie ungenutzt bleiben – in manchen Provinzen sogar deutlich mehr. China arbeitet an neuen Hochspannungsleitungen und Batteriespeichern, doch der technische Fortschritt kann mit dem Ausbau kaum Schritt halten.
Zwischen Ambition und Realismus
Trotz aller Widersprüche bleibt der Trend eindeutig: Kein anderes Land hat die Energiewende so umfassend in Industrie, Infrastruktur und politische Strategie eingebettet. China produziert die meisten Solarmodule, Windturbinen und Batterien weltweit – und dominiert damit auch die Wertschöpfungsketten der grünen Zukunft.
Was in Europa als langsamer Wandel gilt, ist in China ein industriepolitisches Großprojekt. Es ist eine Energiewende im Maßstab eines Kontinents – unvollkommen, widersprüchlich, aber mächtig in ihrer Wirkung. Während der Westen noch diskutiert, ob die Transformation machbar ist, hat China sie längst begonnen. Und vielleicht wird das 21. Jahrhundert einmal daran erinnert werden, dass das Land, das einst den Smog exportierte, schließlich den Strom der Sonne lieferte.