Hat der Westen den Funken gelegt, den Russland zur Flamme machte?

Hat der Westen den Funken gelegt, den Russland zur Flamme machte?

Der Krieg und die Frage nach der Schuld

Wenn heute über den Ukrainekrieg gesprochen wird, steht eine Frage fast immer im Raum: Liegt die Schuld allein bei Russland? Völkerrechtlich ist die Antwort eindeutig. Der Angriff am 24. Februar 2022 verstößt klar gegen die UN-Charta, die Gewaltanwendung gegen die territoriale Integrität eines souveränen Staates verbietet. Damit trägt Russland die unmittelbare Verantwortung für diesen Krieg. Doch die Wurzeln reichen tiefer – und führen unweigerlich zurück ins Jahr 2014, als auf dem Maidan in Kyjiw Hunderttausende auf die Straße gingen.

Der Maidan – Von der Hoffnung zur Eskalation

Im November 2013 stoppte Präsident Wiktor Janukowytsch überraschend das geplante Assoziierungsabkommen mit der EU. Stattdessen kündigte er engere Beziehungen zu Russland an. Was zunächst nach einer nüchternen außenpolitischen Entscheidung klang, entfachte binnen Tagen einen Massenprotest. Auf dem Maidan-Nezaleshnosti in Kyjiw versammelten sich Menschen, die nicht nur europäische Integration forderten, sondern auch ein Ende der allgegenwärtigen Korruption.

Aus der anfänglichen Aufbruchsstimmung wurde bald ein erbitterter Konflikt. Im Februar 2014 fielen Schüsse. Bis heute ist umstritten, wer genau für die tödlichen Attacken verantwortlich war, bei denen sowohl Demonstranten als auch Polizisten starben. Der blutige Wendepunkt führte schließlich dazu, dass Janukowytsch aus Kyjiw floh – und das Parlament ihn absetzte.

Westlicher Einfluss – Zwischen Unterstützung und Verdacht

Der Westen spielte auf dem Maidan keine unsichtbare Nebenrolle. EU- und US-Politiker zeigten sich offen unter den Demonstranten, westliche Stiftungen und Organisationen hatten über Jahre zivilgesellschaftliche Projekte in der Ukraine gefördert. Besonders bekannt wurde ein abgehörtes Telefonat zwischen der US-Diplomatin Victoria Nuland und dem amerikanischen Botschafter in Kyjiw, in dem über mögliche neue Regierungsfiguren diskutiert wurde – ein Mitschnitt, der in Russland als Beweis für eine geplante Einflussnahme gilt.

Doch trotz solcher Kontakte und Unterstützungsleistungen ist kein schlüssiger Beleg dafür aufgetaucht, dass die Proteste selbst vom Westen inszeniert wurden. Viele Forscher sehen den Ursprung der Bewegung klar in der ukrainischen Gesellschaft: in der Unzufriedenheit mit der Regierung, dem Wunsch nach Rechtsstaatlichkeit und der Abkehr von jahrzehntelanger Korruption.

Russlands Reaktion und der Weg in den Dauerkonflikt

Moskau deutete den Machtwechsel 2014 als Putsch – orchestriert und unterstützt vom Westen. In dieser Lesart verteidigte Russland seine strategischen Interessen, als es die Krim annektierte und bewaffnete Gruppen im Osten der Ukraine unterstützte. Die Kämpfe im Donbass wurden zu einem jahrelangen Dauerbrand, lange bevor russische Panzer 2022 in Richtung Kyjiw rollten.

Für Russland wurde der Maidan zum Symbol westlicher Einmischung in die postsowjetische Einflusssphäre. Für viele Ukrainer war er dagegen der Beginn eines neuen, selbstbestimmten Weges. Zwischen diesen beiden Sichtweisen klafft bis heute eine unüberbrückbare Lücke.

Zwischen Revolution und Stellvertreterkrieg

Wer nur den Februar 2022 betrachtet, bekommt ein klares Bild: ein Angriffskrieg, ausgelöst durch Russland. Wer jedoch die Entwicklungen seit 2014 mit einbezieht, erkennt eine Kette von Ereignissen, in denen ukrainische Innenpolitik, westliche Interessen und russische Machtpolitik untrennbar miteinander verknüpft sind.

Ob der Maidan eine echte Volksrevolution oder ein von außen befeuerter Umsturz war, wird wohl noch lange Gegenstand hitziger Debatten bleiben. Sicher ist nur: Aus einem Platz voller Demonstranten in Kyjiw ist ein geopolitischer Brennpunkt geworden – mit Folgen, die die Weltordnung bis heute erschüttern.

Mark Petersen