Warum die Deutschen weiter am verkaufsoffenen Sonntag festhalten – und wer davon profitiert

Warum die Deutschen weiter am verkaufsoffenen Sonntag festhalten – und wer davon profitiert

Mehrheit gegen Sonntagsöffnung – Quer durch die Bevölkerung?

Eine aktuelle YouGov-Umfrage im Auftrag der dpa sorgt für klare Fronten: 59 Prozent der Befragten in Deutschland wollen keine häufigeren Ladenöffnungen am Sonntag, nur 34 Prozent sprechen sich dafür aus. Befragt wurden rund 2.000 Personen aus einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung – nicht nur Rentnerinnen oder deutsche Staatsbürger, sondern die in Deutschland lebende Wahlbevölkerung. Der Wunsch nach bewahrter Sonntagsruhe zieht sich durch alle Altersgruppen und Milieus, gestützt von Kirchen und Gewerkschaften, die den arbeitsfreien Sonntag als kulturellen und sozialen Wert verteidigen.

Tankstellen als heimliche Sonntagskönige

Während Innenstädte am Sonntag gähnende Leere zeigen, brummt das Geschäft an den Zapfsäulen. Tankstellen verdienen am Kraftstoff kaum noch, ihre Shops sind längst zum eigentlichen Umsatzmotor geworden. Snacks, Getränke, Tabakwaren und der schnelle Coffee-to-go erzielen deutlich höhere Margen als Benzin. Wenn andere Geschäfte geschlossen bleiben, können Tankstellen am Sonntag einen überproportional großen Teil der Spontankäufe abgreifen – ein Wettbewerbsvorteil, den weder Supermärkte noch kleine Kioske ohne Sondergenehmigung ausgleichen können.

Der Sonntag als Online-Bummelmeile

Besonders an Sonntagen füllen sich die digitalen Warenkörbe. Analysen großer Zahlungs- und Handelsplattformen zeigen: Der Sonntagabend ist die Hochphase des Online-Shoppings in Deutschland. Menschen haben Zeit und Ruhe, sich durch Angebote zu klicken – genau die Zeit, die manch einer gerne für einen Stadtbummel oder längeren Supermarktbesuch nutzen würde. Stattdessen profitiert der Onlinehandel und gewinnt kontinuierlich Marktanteile, während der stationäre Einzelhandel um Kundschaft ringt.

Die paradoxe Debatte im Zeitalter des Ladensterbens

Die Umfrage fällt in eine Zeit, in der viele Innenstädte mit Leerstand kämpfen und kleine Geschäfte ums Überleben ringen. Gerade deshalb wirkt es paradox, dass eine Mehrheit einer Ausweitung der Sonntagsöffnung ablehnend gegenübersteht. Politisch wird die Befragung als Rückenwind für den Status quo gewertet. Gleichzeitig öffnet sich ein Nebenschauplatz: automatisierte „Smart Stores“, die ohne Personal auskommen und rechtlich teils in einer Grauzone operieren. Sie bieten an Sonntagen eine Einkaufsmöglichkeit, ohne den arbeitsfreien Sonntag offiziell zu verletzen – und könnten damit den stationären Handel in eine neue, technisierte Form des Wettbewerbs zwingen.

Zwischen Tradition und Transformation

Die Debatte zeigt, wie tief der freie Sonntag kulturell verankert ist – und wie sehr wirtschaftliche Realität und gesellschaftliches Empfinden auseinanderdriften. Solange die Mehrheit den Sonntag als Ruhetag versteht, werden Tankstellen und Onlinehändler weiter zu den großen Gewinnern gehören. Der Einzelhandel bleibt dagegen gefordert, seine Kundschaft an den sechs übrigen Tagen zu erreichen – oder digitale Brücken zu bauen, um auch am siebten Tag sichtbar zu bleiben.

Mark Petersen