Die Treppe des Lebens – Warum wir auf jeder Stufe ein neues Ich brauchen

Die Treppe des Lebens – Warum wir auf jeder Stufe ein neues Ich brauchen

Wir alle erleben Momente, in denen sich das Leben verändert – manchmal leise, manchmal mit einem lauten Knall. Ein neuer Job, das Ende einer Beziehung, der Verlust eines Menschen, das Elternwerden oder einfach ein neuer Lebensabschnitt. Und dann spüren wir: So, wie wir bisher waren, kommen wir hier nicht weiter.

Der Satz, der diesem Gefühl eine klare Richtung gibt, stammt angeblich von Leif Erricson:

„Auf jeder neuen Stufe deines Lebens musst du zu einer neuen Version deiner selbst werden.“

Ob der Wikinger-Entdecker diesen Gedanken tatsächlich formuliert hat oder nicht – die Idee ist universell. Wachstum heißt Veränderung, und jede neue Lebensstufe fordert uns auf, das alte Selbst abzustreifen wie eine zu eng gewordene Haut.

Alte Werkzeuge, neue Herausforderungen

Wir neigen dazu, an unseren bewährten Strategien festzuhalten – an dem, was uns in früheren Phasen geholfen hat. Doch die Werkzeuge, die uns einst durchs Leben getragen haben, funktionieren irgendwann nicht mehr. Ein Mensch, der in der Jugend mit Anpassung überlebte, braucht im Erwachsenenleben vielleicht den Mut zur Abgrenzung. Jemand, der immer stark war, darf lernen, Hilfe anzunehmen.

Psychologisch gesehen ist das der Moment, in dem unsere Identität auf die Probe gestellt wird. Das bisherige Selbstbild passt nicht mehr zur neuen Lebensrealität. Der Konflikt, der daraus entsteht, fühlt sich anfangs schmerzhaft oder verunsichernd an – ist aber genau das Material, aus dem Entwicklung entsteht.

Wandel als Einladung

Viele Menschen empfinden Veränderungen zunächst als Bedrohung. Der Mensch liebt Kontinuität, sie vermittelt Sicherheit. Doch Wachstum braucht Reibung. Das Neue fordert uns heraus, Altes zu überdenken.

Statt zu fragen: „Warum passiert mir das?“ hilft eine andere Haltung:
„Welche Version meiner selbst wird hier gerade gebraucht?“

Diese Frage öffnet die Tür zum bewussten Wandel. Sie lädt ein, aktiv mitzuwirken, statt sich vom Leben getrieben zu fühlen. Das kann bedeuten, neue Fähigkeiten zu lernen, aber auch alte Überzeugungen zu hinterfragen – etwa das Bedürfnis, es immer allen recht zu machen oder die Angst, Fehler zu zeigen.

Wenn das ICH zu eng wird

Viele Krisen entstehen nicht, weil etwas von außen falsch läuft, sondern weil das innere Bild von uns selbst zu starr geworden ist. Wir hängen an einem Ich, das uns einmal gedient hat, jetzt aber nicht mehr passt.

Ein Beispiel: Eine Person, die sich über Leistung definiert hat, steht plötzlich vor einer Aufgabe, in der Kontrolle nichts mehr nützt – etwa in Krankheit, Arbeitslosigkeit oder einer tiefen Beziehung. Die alte Identität („Ich bin stark, wenn ich alles im Griff habe“) gerät ins Wanken. Die neue Version könnte heißen: „Ich bin stark, wenn ich vertrauen kann.“

Solche Wandlungen sind kein Zeichen von Scheitern, sondern von Reife. Sie zeigen, dass wir bereit sind, uns selbst neu zu erfinden.

Die Kunst des inneren Reisens

Leif Erricson war ein Entdecker unbekannter Welten. Übertragen auf unser Inneres gilt das genauso: Jede Lebensstufe ist ein neues Territorium, das wir erst erkunden müssen. Und wie bei einer echten Expedition braucht es dafür Mut, Geduld – und manchmal die Bereitschaft, sich zu verirren.

Entwicklung bedeutet nicht, das alte Ich zu verleugnen, sondern es zu integrieren. Jede Version von uns war einmal notwendig. Aber das Leben ruft immer wieder: „Komm, da geht noch mehr.“

Und wer diesem Ruf folgt, entdeckt irgendwann: Jede neue Stufe fühlt sich erst fremd an – bis sie unser Zuhause wird.

Mark Petersen