Der Kühlschrank ist leer, aber das Traumhaus wird gebaut – Deutschlands paradoxe Finanzpolitik

Die Nachrichten klingen wie ein Rätsel: Die Bundesregierung verkündet Rekordschulden in Höhe von Hunderten Milliarden Euro, gleichzeitig heißt es, die Staatskassen seien leer. Ministerien müssen um jeden zusätzlichen Euro kämpfen, während im Bundestag ein gigantisches Sondervermögen beschlossen wird. Wie passt das zusammen?
Das Geheimnis liegt im Blick auf den Bundeshaushalt. Dieser Kernhaushalt ist die eigentliche Alltagskasse des Staates. Hier werden Rentenzuschüsse, Bürgergeld, Familienleistungen und Beamtengehälter finanziert. Mehr als die Hälfte der Ausgaben – knapp 250 Milliarden Euro – fließen allein in den Bereich Arbeit und Soziales. Diese Posten sind nicht nur groß, sie wachsen auch stetig weiter. Jeder zusätzliche Euro, der hier gebunden ist, fehlt anderen Ressorts, sei es für Bildung, Verteidigung oder Kultur. Das ist der Grund, warum Politiker von „klammen Kassen“ sprechen: Der tägliche Spielraum ist eng.
Parallel dazu gibt es jedoch eine Art zweite Kasse: die Sondervermögen. Sie funktionieren wie eine Kreditkarte mit gewaltigem Limit. Die neue Regierung hat dafür die Schuldenbremse gelockert und das Grundgesetz geändert. So konnte ein 500-Milliarden-Euro-Paket für Infrastruktur, Klimaneutralität und Investitionen beschlossen werden. Dieses Geld darf nicht für laufende Sozialausgaben verwendet werden, sondern ist zweckgebunden. Während der Kühlschrank also leer bleibt, wird mit der Kreditkarte das Traumhaus bestellt.
Die Doppelstrategie ist politisch gewollt. Niemand will die sozialen Sicherungssysteme infrage stellen, gleichzeitig darf Deutschland beim Klimaschutz, bei der Modernisierung von Netzen und bei der Verteidigung nicht den Anschluss verlieren. Also wird der enge Kernhaushalt mit zusätzlichen Krediten entlastet, die in Extratöpfe wandern. Kritiker nennen das eine Mogelpackung: Für die Steuerzahler von morgen macht es keinen Unterschied, ob die Schulden über den Kernhaushalt oder über ein Sondervermögen laufen – sie bleiben bestehen.
Die paradoxe Finanzlage ist damit kein Zufall, sondern Ausdruck einer Zwickmühle. Die Sozialausgaben fressen sich tief in den Alltagshaushalt, während Zukunftsinvestitionen nur über gigantische Sonderkredite möglich sind. Deutschland versucht beides gleichzeitig: die Versorgung von heute sichern und die Modernisierung von morgen bezahlen. Ob das gelingt oder ob die Rechnung irgendwann untragbar wird, entscheidet sich erst in den kommenden Jahren – wenn der Kredit fällig wird und der Kühlschrank noch immer nicht besser gefüllt ist.