ARD-Sommerinterview mit Alice Weidel – Wenn Journalismus zum Schauspiel wird

Was als Gespräch über Politik gedacht war, endete als irritierendes Medienspektakel: Das ARD-Sommerinterview mit Alice Weidel, aufgezeichnet am 20. Juli 2025 vor dem Berliner Reichstagsufer, steht sinnbildlich für eine wachsende Unschärfe zwischen politischem Journalismus und öffentlich-rechtlicher Inszenierung. Nicht nur der Ablauf des Interviews, sondern auch die Begleitumstände werfen Fragen auf – zur Professionalität der ARD, zur Rolle der Polizei und zum Zustand einer Debattenkultur, die von Störung und Symbolik überlagert wird.
Schon die äußere Inszenierung war brisant: Alice Weidel, Bundesvorsitzende der AfD, wurde unter freiem Himmel interviewt – flankiert von einem aggressiven Lärmpegel aus Trillerpfeifen, Megafonrufen und Hupkonzerten. Auf dem gegenüberliegenden Spreeufer protestierte die Aktionsgruppe „Zentrum für Politische Schönheit“ mit einem Lautsprecherwagen, ironisch beschriftet mit „Adenauer SRP+“, einer Anspielung auf die alte rechtsextreme Splitterpartei. Die Störung war nicht spontan, sondern geplant – und sie hatte Wirkung: Mehrfach musste Moderator Markus Preiß seine Fragen wiederholen, Weidel verstand ihn streckenweise nicht. Zuschauer konnten Inhalte kaum erfassen. Was blieb, war Chaos statt Klarheit.
Hier hätte ein professionelles Medienhaus reagieren müssen. Es handelt sich nicht um eine Livesendung, sondern um eine Aufzeichnung. Ein Abbruch, ein Umzug ins Gebäude, eine Vertagung – all das wäre möglich gewesen. Warum wurde das Interview dennoch durchgezogen? Warum zog sich die ARD nicht an einen ruhigeren Ort zurück, wie sie es bei Starkregen vermutlich sofort getan hätte? Dass man sich stattdessen entschloss, die Konfrontation als Kulisse stehen zu lassen, wirft einen Schatten auf die redaktionelle Entscheidungskultur. Man hat nicht nur ein Interview gesendet – man hat ein Bild erzeugt.
Hinzu kommt: Die Polizei ließ die unangemeldete Aktion gewähren. Der Lautsprecherwagen stand im Halteverbot. Räumlich war der Ort absehbar, zeitlich nicht öffentlich – und doch wussten die Aktivisten genau, wann sie da sein mussten. Dass die Polizei erst eingriff, als das Interview längst beendet war, wirkt seltsam abgestimmt. Von deeskalierender Begleitung kann hier keine Rede sein. Vielmehr entstand der Eindruck, dass eine rechtswidrige Aktion – mangels politischem Willen oder zugunsten eines vermeintlich richtigen Protests – durchgewunken wurde.
Auch journalistisch zeigt das Interview Bruchstellen. Markus Preiß stellte kritische Fragen – das ist sein Job. Doch dass ausgerechnet unter ohrenbetäubendem Lärm eine Gehaltsdiskussion gegen Weidel lanciert wurde („Sie verdienen fast 11.000 Euro monatlich – und behaupten, in Deutschland gehe es drunter und drüber?“), wirkte kalkuliert: als dramaturgische Spitze mehr denn als substanzieller Vorwurf. Die Frage mag berechtigt sein – ihr Einsatz in dieser Situation war es nicht.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Gespräch nie inhaltlich gelingen sollte. Nicht, weil die Gesprächspartnerin ausweichend war – sondern weil das Format nicht geschützt wurde. Eine solche Haltung beschädigt das öffentlich-rechtliche Selbstverständnis: Objektivität, Fairness, die Gewährleistung eines Minimums an Gesprächsqualität – all das ist kein Bonus, sondern Grundbedingung. Wenn das nicht mehr gilt, wird der öffentlich-rechtliche Journalismus zur Bühne, nicht zur Instanz.
Gerade angesichts der Pflichtbeiträge, die alle Bürger entrichten müssen, ist der Anspruch hoch. Wer Gebühren erhebt, muss Standards setzen. Das Sommerinterview mit Alice Weidel hat stattdessen eines gezeigt: Dass man sich offenbar lieber im Lärm gefällt als im Diskurs behauptet.
Und das ist, in einer Zeit zunehmender Polarisierung, das eigentliche Versagen.