Warum Vielfalt der beste Schutz vor Krieg sein kann

1933 zeigte der Welt, wie erschreckend schnell sich ein ganzes Volk in Marsch setzen lässt. Eine Mischung aus ökonomischer Not, nationaler Kränkung und geschickter Propaganda machte es möglich, dass Millionen Deutsche nicht nur schwiegen, sondern aktiv mitliefen – bis zum dunkelsten Kapitel europäischer Geschichte. Heute ist Deutschland ein anderes Land. Nicht nur wegen der politischen Strukturen oder der Lehren aus der Vergangenheit, sondern vor allem, weil es kein homogenes „Volk“ mehr gibt. Deutschland ist vielfältig, multiethnisch, multikulturell – und genau darin könnte eine der größten Hoffnungen unserer Zeit liegen.
Denn um ein Land geschlossen in einen Krieg zu führen, braucht es mehr als Waffen und politische Macht. Es braucht geistige Vereinheitlichung – eine identitätsstiftende Idee, die als stärker empfunden wird als persönliche Zweifel, Herkunft oder Empathie. Das nationalsozialistische Deutschland schuf diese Einheit mit Gewalt und Verführung. In der Gegenwart dagegen ist es schwer, so viele Menschen mit so unterschiedlichen Biografien, Weltbildern und Loyalitäten auf eine einzige Linie zu bringen.
Ein Beispiel: In vielen deutschen Familien gibt es Verbindungen nach Russland, in die Ukraine, nach Polen, Syrien, Israel, Armenien, Afghanistan, die Türkei – um nur einige zu nennen. Diese Verbindungen erzeugen Perspektivenvielfalt. Wer russische Freunde hat, denkt differenzierter über den Krieg in der Ukraine. Wer Angehörige im Gazastreifen oder in Tel Aviv hat, kann sich weder mit einfachen Schuldzuweisungen noch mit Schwarz-Weiß-Denken zufriedengeben. Die Welt ist näher gerückt – und mit ihr das Bewusstsein, dass Wahrheit oft komplizierter ist als das, was in Schlagzeilen passt.
Doch Vielfalt bedeutet nicht automatisch Frieden. Auch eine bunte Gesellschaft kann autoritär kippen – wenn Angst, Verunsicherung und wirtschaftlicher Druck zu Sehnsucht nach klaren Feindbildern führen. Die Geschichte ist da gnadenlos: Es braucht keine ethnische Homogenität, um Hass zu schüren – nur eine geschickte Rhetorik, die Vielfalt als Bedrohung darstellt und Einheit als Notwendigkeit inszeniert. Wenn „Spaltung“ zum politischen Reizwort wird, dann steht oft schon der Ruf nach autoritärer Vereinfachung im Raum.
Gleichzeitig zeigt sich in der medialen Debatte eine Tendenz zur Vereinheitlichung. Wer heute differenziert über Russland spricht, über Waffenlieferungen oder NATO-Politik, sieht sich schnell im Kreuzfeuer. Dabei ist gerade diese Debatte notwendig, um den Pluralismus lebendig zu halten. Denn kritische Stimmen sind kein Störfaktor – sie sind das Rückgrat jeder demokratischen Wehrhaftigkeit.
Die Kriegsminister aus Nenas Lied sind heute keine Uniformträger mehr, sondern sitzen in Talkshows, formulieren Narrative und lenken Diskurse. Der Zündstoff ist nicht mehr nur militärisch, sondern auch medial und rhetorisch. Doch anders als 1933 ist das Streichholz heute oft feucht – weil zu viele Menschen aus zu vielen Richtungen kommen, um sich bereitwillig anzuzünden.
Es gibt keine Garantie, dass sich Geschichte nicht doch wiederholt. Aber es gibt Hoffnung – und die trägt heute viele Sprachen, viele Gesichter und viele Stimmen in sich. Vielleicht ist das unsere stärkste Waffe gegen jene, die uns wieder in Gleichschritt bringen wollen.