Zwischen Glaube und Gesetz: Wenn die Ehe nur vor Gott gilt

Zwischen Glaube und Gesetz: Wenn die Ehe nur vor Gott gilt

Das Ja-Wort in der Moschee

Wer in Deutschland in einer Moschee heiratet, tut dies meist aus einem tiefen religiösen Bedürfnis heraus. Die islamische Eheschließung – die Nikah – gilt vielen Gläubigen als der wahre Beginn einer Ehe. Hier zählt das Versprechen vor Gott, nicht die Unterschrift auf einem Formular. In einer feierlichen Zeremonie, begleitet von Koranrezitationen, geben sich Braut und Bräutigam ihr Einverständnis. Der Imam spricht ein Gebet, die Familien segnen die Verbindung, und die Gemeinschaft feiert. Es ist ein Moment von Spiritualität und Nähe, weit entfernt von der nüchternen Atmosphäre eines Standesamts.

Doch genau darin liegt das Spannungsfeld: Die Vermählung in der Moschee hat in Deutschland keinerlei rechtliche Wirkung. Sie ist religiös bindend, aber staatlich bedeutungslos. Was für die Beteiligten ein heiliger Bund ist, existiert für den Staat schlicht nicht.

Das Gesetz und seine Grenzen

In Deutschland ist nur die standesamtliche Trauung rechtsgültig. Das schreibt das Personenstandsgesetz eindeutig vor. Erst wenn das Paar vor einem Standesbeamten „Ja“ gesagt hat, entsteht eine Ehe im rechtlichen Sinn – mit allen Folgen für Unterhalt, Erbrecht, Steuerrecht oder Sorgerecht. Religiöse Zeremonien dürfen danach stattfinden, aber niemals davor.

Das bedeutet: Wer sich ausschließlich in einer Moschee trauen lässt, bleibt nach deutschem Recht unverheiratet. Die Folgen können gravierend sein, vor allem im Fall einer Trennung oder eines Todesfalls. Kein Anspruch auf Unterhalt, keine Absicherung, kein automatisches gemeinsames Sorgerecht – die rechtliche Seite der Ehe fehlt völlig. Manche Imame verweigern daher religiöse Trauungen, solange kein Standesamtstermin nachgewiesen ist. Andere wiederum sehen das als Einmischung des Staates in Glaubensfragen und handeln eigenständig.

Zwischen Freiheit und Verantwortung

Für viele Paare steht die religiöse Ehe nicht im Widerspruch zur staatlichen. Sie sehen beide als zwei Ebenen desselben Versprechens: die eine spirituell, die andere rechtlich. In der Praxis sind diese Paare doppelt verheiratet – einmal vor Gott, einmal vor dem Gesetz. Doch es gibt auch Fälle, in denen die Nikah bewusst ohne Standesamt geschlossen wird. Manche tun das, um ihre Beziehung vor der Familie zu legitimieren, andere, um sich an die religiösen Gebote zu halten, ohne den Schritt in die staatliche Bindung zu gehen.

Problematisch wird es, wenn solche „rein religiösen“ Ehen ausgenutzt werden. Da sie rechtlich nicht existieren, können sie leicht wieder aufgelöst werden – oft einseitig, ohne Schutz für die Frau. Es kommt auch vor, dass Männer mehrere solcher Ehen schließen, was faktisch einer religiösen Polygamie gleichkommt. Solche Fälle zeigen, wie gefährlich es werden kann, wenn spirituelle Bindung und rechtlicher Schutz auseinanderfallen.

Ein neues Selbstverständnis in den Gemeinden

Viele islamische Gemeinden in Deutschland reagieren auf diese Herausforderungen. Große Verbände wie DITIB oder die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş verlangen inzwischen, dass die Paare ihre standesamtliche Heiratsurkunde vorlegen, bevor eine Nikah vollzogen wird. Das schützt beide Partner und stellt sicher, dass die religiöse Feier nicht zur rechtlichen Falle wird.

Gleichzeitig versuchen die Gemeinden, die religiöse Trauung stärker als Symbol der Liebe und des Glaubens zu vermitteln – nicht als Ersatz für staatliche Anerkennung, sondern als Ergänzung. Damit wandelt sich das Bild der Nikah: Sie wird zum emotionalen, spirituellen Höhepunkt einer Ehe, aber nicht mehr zur rechtlichen Grundlage.

Das „andere Heiraten“

Die Vermählung in der Moschee bleibt ein besonderes Ereignis – „das etwas andere Heiraten“, wie es oft heißt. Es ist ein Fest des Glaubens, der Familie und der Gemeinschaft, getragen von Ritualen, die in Europa selten geworden sind. Doch in einem Land, in dem Religion und Staat strikt getrennt sind, bedeutet wahre Verantwortung, beides zu verbinden: das Herz und das Gesetz, das Gebet und die Unterschrift.

Nur wenn beides zusammenkommt, kann eine Ehe in Deutschland wirklich vollständig sein – vor Gott und vor der Gesellschaft.

Mark Petersen