Deutschland ohne Punktesystem – verpasste Chancen in der Einwanderungspolitik

Deutschland ohne Punktesystem – verpasste Chancen in der Einwanderungspolitik

Zwischen Bedarf und Realität

Viele klassische Einwanderungsländer wie Kanada, Australien oder Neuseeland setzen seit Jahrzehnten auf Punktesysteme. Wer einwandern möchte, sammelt Punkte für Alter, Sprachkenntnisse, Qualifikation und Berufserfahrung. Ab einer bestimmten Punktzahl steht die Tür offen. Deutschland dagegen hält sich mit einem solchen Modell bislang zurück. Zwar gibt es mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der geplanten Chancenkarte erste Schritte in diese Richtung, doch im Kern bleibt die Einwanderung stark von Arbeitsverträgen und Arbeitgebernachweisen abhängig. Das hat spürbare Nachteile.

Weniger Steuerungskraft

Ein Punktesystem erlaubt es einem Staat, gezielt jene Fachkräfte anzuziehen, die er am dringendsten braucht. Ob Pflegekräfte, Ingenieure oder IT-Experten – das System filtert Bewerber bereits im Vorfeld. Deutschland hingegen agiert eher reaktiv. Fachkräfte dürfen nur dann einreisen, wenn ein Arbeitgeber bereits einen Vertrag anbietet. Damit fehlt die Möglichkeit, vorausschauend auf Engpässe zu reagieren oder die Einwanderung nach bestimmten Kriterien zu steuern.

Bürokratie als Hürde

Hinzu kommt die deutsche Verwaltung: Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse, Visumsformalitäten und lange Bearbeitungszeiten schrecken viele Bewerber ab. In Ländern mit Punktesystem ist der Weg klarer. Wer genug Punkte hat, erhält die Chance auf Aufenthalt und Jobsuche – unbürokratischer und schneller. Deutschland verliert so im Wettbewerb um Talente gegen andere Staaten.

Deutschland wirkt weniger attraktiv

Für internationale Fachkräfte zählt nicht nur das Gehalt, sondern auch die Perspektive. Ein Punktesystem bietet eine Art Versprechen: Wer qualifiziert ist, darf bleiben. In Deutschland dagegen hängt vieles von individuellen Jobangeboten ab. Für Bewerber aus dem Ausland ist das ein Unsicherheitsfaktor. Kanada oder Australien wirken dadurch planbarer, transparenter und attraktiver.

Der Fachkräftemangel bleibt bestehen

Die Folgen spürt Deutschland bereits. Trotz offensichtlichem Bedarf gelingt es nicht, ausreichend Fachkräfte für Pflege, Handwerk oder IT zu gewinnen. Während andere Länder ihre Einwanderungspolitik systematisch auf diese Lücken zuschneiden, bleibt Deutschland in einem Flickenteppich aus Visa-Auflagen und Arbeitgeberpflichten stecken.

Unklare Botschaft nach außen

Ein weiterer Nachteil ist das Signal, das ausgesandt wird. Ein Punktesystem sagt klar: „Wir wollen euch, wenn ihr bestimmte Fähigkeiten mitbringt.“ Deutschland wirkt dagegen widersprüchlich: Auf der einen Seite klagt man über Fachkräftemangel, auf der anderen Seite erschweren bürokratische Verfahren die Zuwanderung. Das schwächt das internationale Bild als modernes Einwanderungsland.

Ein Land zwischen zwei Welten

Deutschland hat mit der Chancenkarte zwar ein Instrument angekündigt, das in Richtung Punktesystem geht. Doch bislang fehlt die klare Linie, die andere Länder erfolgreich nutzen. Ohne grundlegende Reform droht die Bundesrepublik im globalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe den Anschluss zu verlieren – und den eigenen Fachkräftemangel weiter zu verschärfen.

Mark Petersen