Friedensstifter oder Kriegstreiber? Die Rolle der christlichen Kirche in den Konflikten der letzten 150 Jahre

Die christliche Kirche hat eine lange Tradition der Lehre vom gerechten Krieg, die auf Augustinus von Hippo und Thomas von Aquin zurückgeht. Diese Lehre versucht, ethische Kriterien für den Beginn und die Führung eines Krieges zu formulieren, um ungerechte und sinnlose Gewalt zu vermeiden.

Im 19. Jahrhundert war die christliche Kirche vor allem mit den Folgen der Französischen Revolution und des Nationalismus konfrontiert. Sie stand oft im Konflikt mit den liberalen und säkularen Staaten Europas und verlor an politischem Einfluss. Die Kirche unterstützte meist die konservativen Kräfte und lehnte revolutionäre Bewegungen ab. Sie beteiligte sich aber auch an humanitären Initiativen wie dem Roten Kreuz oder der Friedensbewegung.

Im Ersten Weltkrieg standen sich christliche Nationen gegenüber, die jeweils ihre eigenen Interessen verteidigten. Die Kirche war gespalten zwischen den kriegführenden Parteien und konnte keine einheitliche Haltung einnehmen. Viele Geistliche segneten die Soldaten ihrer Länder und rechtfertigten den Krieg als heilige Pflicht oder als Kampf gegen das Böse. Andere Christen leisteten Widerstand gegen den Krieg oder engagierten sich für Versöhnung und Frieden.

Im Zweiten Weltkrieg war die christliche Kirche vor allem mit dem Nationalsozialismus konfrontiert, der eine rassistische und totalitäre Ideologie vertrat. Die Kirche verurteilte zwar einige Aspekte des NS-Regimes wie die Judenverfolgung oder die Euthanasie, aber sie ging nicht offen in Opposition zum Hitler-Staat. Viele Christen unterstützten den Krieg aus Patriotismus oder aus Angst vor dem Kommunismus. Andere Christen leisteten Widerstand gegen das NS-Regime oder halfen Verfolgten wie Juden oder Zigeunern.

Nach 1945 setzte sich die christliche Kirche verstärkt für Frieden und Menschenrechte ein. Sie kritisierte den Kalten Krieg und die atomare Aufrüstung als Bedrohung für die Menschheit. Sie unterstützte auch antikoloniale Bewegungen in Afrika oder Asien sowie soziale Reformen in Lateinamerika. Die Kirche befürwortete aber auch manchmal militärische Interventionen zum Schutz von Menschenrechten oder zur Bekämpfung von Terrorismus wie im Kosovo-Krieg oder nach dem 11. September 2001.

Die Rolle der Kirche bei der Auflösung der DDR

Die Kirche spielte eine wichtige Rolle beim Fall der DDR im Jahr 1989. Sie bot einen Freiraum für Oppositionelle und Bürgerrechtler, die sich in kirchlichen Gruppen organisierten und kritische Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz oder Friedenspolitik diskutierten. Die Kirche veranstaltete auch regelmäßige Friedensgebete, die zu Ausgangspunkten für Massendemonstrationen gegen das SED-Regime wurden. Die Kirche vermittelte auch zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften und trug so zur Gewaltfreiheit der Revolution bei. Die Kirche unterstützte auch den Dialogprozess zwischen der Opposition und der Regierung, der zur Bildung einer Übergangsregierung und zur Vorbereitung freier Wahlen führte. Die Kirche war somit ein wichtiger Faktor für den demokratischen Wandel in der DDR.

Ukraine-Krieg

Die Kirche hat sich mehrfach zum Ukraine-Krieg geäußert und sich für eine friedliche Lösung des Konflikts eingesetzt, natürlich nicht ohne den Angriff Russlands auf die Ukraine als völkerrechtswidrig zu verurteilen, und das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine zu betonen. Sie hat auch zu Gebet und Solidarität mit den leidenden Menschen aufgerufen und humanitäre Hilfe geleistet. 

Die katholische Kirche in der Ukraine hat sich als Vermittlerin zwischen den Konfliktparteien angeboten und die Einheit des Landes verteidigt. Sie hat auch die ökumenische Zusammenarbeit mit anderen christlichen Kirchen gefördert, um ein Zeichen des Friedens zu setzen. 
Die orthodoxe Kirche ist hingegen gespalten zwischen der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, die loyal zu Russland steht, und der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats, die unabhängig von Moskau sein will. Diese Spaltung spiegelt die politischen Spannungen wider und erschwert den Dialog zwischen den orthodoxen Christen.

Der Papst hat mehrmals seine Sorge um den Frieden in der Ukraine ausgedrückt und zu einem Ende der Gewalt aufgerufen. Er hat auch seine Nähe zu den Opfern des Krieges bekundet und eine Sonderkollekte für die humanitäre Hilfe in der Ukraine veranlasst. Er hat zudem versucht, einen konstruktiven Kontakt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill aufrechtzuerhalten, um eine diplomatische Lösung zu fördern.

Aktuell betont Annette Kurschus, die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dass Waffenlieferungen an die Ukraine weiterhin vonnöten sind, damit das ukrainische Volk seine Würde und Freiheit verteidigen kann.


Ausgabe 6 / 10.04.2023

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