Warum Russland trotz wirtschaftlicher Schwäche zur Gefahr bleibt

Warum Russland trotz wirtschaftlicher Schwäche zur Gefahr bleibt

Ein General warnt – und die Welt horcht auf

„Russland könnte Nato-Gebiet in kleinerem Maßstab bereits morgen angreifen“, sagte Bundeswehr-General Alexander Sollfrank in einem Interview. Seine Worte klangen nicht wie eine Panikmache, sondern wie eine nüchterne Lageeinschätzung. Russland, so Sollfrank, habe die militärischen Mittel, um gezielt zuzuschlagen – auch wenn ein großflächiger Angriff erst in einigen Jahren denkbar wäre. Doch warum sollte ein Land, das ohnehin das größte Territorium der Erde besitzt, überhaupt noch weiter nach Westen greifen wollen?

Macht, nicht Land – das alte Denken in Pufferzonen

Russlands geopolitisches Denken folgt bis heute einem Muster, das tief in der Geschichte verankert ist. Schon die Zaren suchten Sicherheit durch Pufferzonen. Aus dieser Perspektive war das Land nie groß genug, um sich wirklich sicher zu fühlen. Jede Annäherung eines Nachbarstaats an den Westen wird in Moskau als Bedrohung interpretiert, nicht als souveräne Entscheidung. Der Kreml sieht die Ukraine, Georgien oder Moldau daher nicht als Nachbarn, sondern als Teil einer Sphäre, die ihm zusteht. Die Vorstellung eines unabhängigen, prowestlichen Kiew ist für Putin nicht einfach ein politischer Verlust, sondern ein Identitätsbruch.

Das imperiale Erbe

Putin versteht sich als Erbe eines Imperiums – nicht als Präsident eines modernen Nationalstaats. Für ihn ist die Auflösung der Sowjetunion eine historische Katastrophe, die rückgängig gemacht werden muss, zumindest symbolisch. Diese Haltung erklärt, warum territoriale Gewinne, auch kleine, in Russland so überhöht werden. Es geht nicht um Quadratkilometer, sondern um Prestige, um die Wiederherstellung vermeintlicher Größe. Der Kreml benutzt Expansion, um den Mythos von Russlands Wiederaufstieg zu nähren – und das funktioniert innenpolitisch erstaunlich gut.

Ein Land im Kriegsmodus

Wirtschaftlich ist Russland längst kein Gigant mehr, sondern ein rohstoffgetriebener Koloss mit brüchiger Basis. Öl, Gas und Kohle füllen die Staatskassen, aber Innovation bleibt Mangelware. Der Krieg in der Ukraine hat die Rüstungsproduktion angekurbelt, doch sie verschlingt inzwischen fast zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Diese Kriegswirtschaft schafft kurzfristig Arbeitsplätze, aber sie frisst das Land von innen auf: Bildung, Gesundheit und zivile Infrastruktur verfallen, während der Staat immer mehr Geld in Panzer und Munition steckt.

Trotz westlicher Sanktionen ist Russland jedoch nicht zusammengebrochen. Die Regierung kontrolliert die Wirtschaft eng, zwingt Unternehmen zur Kooperation, manipuliert Preise und Statistik. Der Lebensstandard sinkt schleichend, aber nicht abrupt. Der Krieg wird nicht über Wohlstand legitimiert, sondern über Stolz – über die Erzählung, Russland kämpfe gegen eine feindliche Weltordnung.

Die neue Asymmetrie

Ein offener Krieg mit der NATO wäre für Russland wirtschaftlich Selbstmord. Das wissen auch die Generäle in Moskau. Aber sie brauchen keinen totalen Krieg, um Unruhe zu stiften. Ein gezielter Cyberangriff, eine Sabotageaktion, eine Operation mit „grünen Männchen“ irgendwo im Baltikum – das sind die Szenarien, die westliche Strategen fürchten. Kleine, kalkulierte Schläge, die Unsicherheit erzeugen und die Geschlossenheit der NATO auf die Probe stellen.

Russlands Stärke liegt heute nicht mehr in seiner Wirtschaftskraft, sondern in der Fähigkeit, Risiken zu erzeugen. Es kann Chaos säen, Zweifel wecken, die Grenzen des Zumutbaren austesten. Solange der Westen darauf nur zögerlich reagiert, bleibt diese Strategie erfolgreich.

Ein Land, das sich Größe erkauft

Putins Russland kann sich keinen langen Krieg mit dem Westen leisten – aber es kann den Eindruck erwecken, als wäre es dazu bereit. Diese Inszenierung ist Teil der Machtstrategie: Sie kostet weniger als ein echter Angriff, wirkt aber ähnlich einschüchternd. Das Regime verkauft Stärke, wo eigentlich Schwäche herrscht, und Stolz, wo Mangel dominiert.

Die eigentliche Gefahr liegt also nicht darin, dass Russland morgen in Europa einmarschiert. Sie liegt darin, dass es die Welt glauben macht, es könnte es jederzeit tun – und dass manche im Westen diese Drohung für bare Münze nehmen. Denn in diesem Spiel gewinnt nicht der Stärkere, sondern der, der es schafft, die Angst zu kontrollieren.

Mark Petersen