Warum Reinhard Meys Friedenslied heute wieder weh tut

Warum Reinhard Meys Friedenslied heute wieder weh tut

Als Reinhard Mey 1986 „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht“ schrieb, war das kein politisches Manifest, sondern eine väterliche Trotzreaktion gegen den Krieg. Eine Stimme, leise, aber unbeirrbar: „Ich geb’ sie nicht her für ein Stückchen Land, nicht für eine Handvoll Macht.“ Das Lied stand im Zeichen der Friedensbewegung – eine Zeit, in der Pazifismus fast Mainstream war, getragen von der Hoffnung, dass Vernunft und Menschlichkeit siegen würden.

Fast vierzig Jahre später, im Jahr 2025, klingt dieselbe Botschaft plötzlich wie eine Provokation. Der SWR nahm das Lied aus seiner „Hitparade“ – offiziell wegen Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung, inoffiziell aber, so wird spekuliert, weil ein so kompromissloser Friedensruf in Zeiten des Krieges nicht mehr in die Stimmung passt. Begriffe wie „Friedenskitsch“ tauchen auf, als sei Meys Haltung heute zu weich, zu verträumt, zu weltfremd.

Doch gerade diese Weltfremdheit ist das, was das Lied so unbequem macht. Es rührt an etwas, das wir verloren haben: den Mut, gegen den Krieg zu sein, ohne Relativierung. In einer Ära, in der Waffenlieferungen als moralische Pflicht gelten und Verteidigungsethik zur Staatsräson wird, klingt Meys schlichtes „Nein“ fast wie Blasphemie. Es stellt die Frage, die keiner hören will: Wenn es ernst wird – würdest du dein Kind wirklich geben?

Das Lied ist deshalb nicht veraltet, sondern radikal aktuell. Es widerspricht dem Ton der Zeit, in dem Frieden zu einer diplomatischen Formel verkommen ist. Meys Zeilen erinnern daran, dass Frieden nichts ist, was man verhandelt, sondern etwas, das man verweigert. Eine Weigerung, die teuer sein kann – aber auch das Einzige, was das Menschliche rettet.

Vielleicht ist das der Grund, warum das Lied heute so weh tut. Es hält uns einen Spiegel hin, in dem nicht die Kriegsparteien, sondern wir selbst zu sehen sind – erschöpft, resigniert, bereit, vieles hinzunehmen, was wir früher abgelehnt hätten. Meys alte Stimme klingt darin wie ein Gewissen aus einer vergangenen Welt, das sich weigert, leiser zu werden.

Ob man das „Friedenskitsch“ nennt oder „moralische Konsequenz“, ist letztlich Geschmackssache. Doch eines zeigt die Kontroverse überdeutlich: Ein Lied, das fast vier Jahrzehnte alt ist, hat es noch immer geschafft, eine Gesellschaft aufzuwühlen, die sich längst an Gewalt gewöhnt glaubte. Und vielleicht ist genau das sein größter Verdienst.


Mark Petersen