„Will Deutschland wirklich Krieg?“ – Warum so viele Menschen plötzlich beunruhigt sind

„Will Deutschland wirklich Krieg?“ – Warum so viele Menschen plötzlich beunruhigt sind

Die Frage, ob Deutschland einen Krieg wolle, klingt für viele zunächst übertrieben – doch sie wird zunehmend laut gestellt. In sozialen Netzwerken, auf der Straße, in politischen Debatten. Der Eindruck, dass etwas in Bewegung ist, was über reine Verteidigungsbereitschaft hinausgeht, beschäftigt inzwischen breite Teile der Gesellschaft. Was steckt hinter dieser wachsenden Kriegsangst?

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Jahr 2022 hat sich das Sicherheitsgefühl vieler Menschen in Deutschland spürbar verändert. Die Vorstellung, dass es auch hierzulande zu militärischen Konflikten kommen könnte, erscheint nicht mehr völlig abstrakt. In einer Umfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) aus dem Sommer 2024 gaben 42 Prozent der Befragten an, im Falle eines Angriffs auf Deutschland bereit zu sein, das Land mit der Waffe zu verteidigen – besonders Männer unter 50 zeigen eine hohe Bereitschaft.

Gleichzeitig sorgt die politische Rhetorik für Unruhe. Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach wiederholt davon, Deutschland „kriegstüchtig“ machen zu wollen. Auch Diskussionen über die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder eines verpflichtenden Gesellschaftsjahrs lösen bei vielen Menschen Skepsis aus. Für nicht wenige klingt das nach einem neuen Ton – einem, den man seit Jahrzehnten nicht mehr gehört hatte. Die Zeiten, in denen Deutschland sich als rein zivile Friedensmacht verstand, scheinen vorbei.

Tatsächlich ist das Land sicherheitspolitisch in einer Umbruchphase. Im Rahmen seiner NATO-Verpflichtungen arbeitet Deutschland an einem „Operationsplan Deutschland“, einem umfassenden Konzept für militärische und zivile Reaktionen im Verteidigungsfall. Das Ziel: im Ernstfall vorbereitet sein – nicht, um anzugreifen, sondern um sich und verbündete Truppen auf deutschem Boden verteidigen zu können. Das ist keine Kriegserklärung, sondern ein Ausdruck veränderter Rahmenbedingungen. Dennoch bleibt bei vielen Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl der Beunruhigung zurück – denn Verteidigungsfähigkeit und Kriegsbereitschaft sind in der öffentlichen Wahrnehmung nicht leicht voneinander zu trennen.

Ein weiterer Nervpunkt ist die Unterstützung der Ukraine. Laut ZMSBw befürworten 49 Prozent der Befragten militärische Hilfe für Kiew, etwa ein Viertel ist dagegen. Waffenlieferungen, Ausbildung ukrainischer Soldaten und die Forderung nach einer europäischen Abschreckungskraft spalten das Land. Die eine Seite sieht in der Unterstützung der Ukraine ein Gebot der Solidarität und Sicherheit – die andere Seite fürchtet, in eine Eskalationsspirale hineingezogen zu werden.

All das füttert die Vorstellung, dass Deutschland sich langsam, vielleicht unbewusst, auf einen Krieg vorbereitet. Dabei zeigt ein nüchterner Blick: Der Staat verfolgt keine aggressiven militärischen Ziele. Was wir erleben, ist der Versuch, auf eine Welt zu reagieren, in der die Annahme, Frieden sei selbstverständlich, nicht mehr trägt. In dieser neuen Realität bedeutet Sicherheit nicht nur Diplomatie, sondern auch Wehrfähigkeit.

Problematisch wird es, wenn politische Kommunikation diesen Wandel nur über Begriffe wie „Kriegstüchtigkeit“ transportiert. Wer dabei versäumt, gleichzeitig einen glaubhaften Friedenswillen und eine klare demokratische Haltung zu betonen, hinterlässt ein Vakuum – das von Angst und Misstrauen gefüllt wird. Die Menschen spüren, dass sich etwas verändert. Dass die alten Gewissheiten der Nachkriegszeit bröckeln. Und sie fragen sich, ob sie noch mitgenommen werden – oder ob sie nur noch „kriegsfit“ gemacht werden sollen.

Der entscheidende Punkt ist: Nicht die Maßnahmen selbst, sondern die Art ihrer Vermittlung erzeugt das Gefühl, Deutschland wolle womöglich tatsächlich Krieg. Und genau hier liegt die politische Verantwortung. Wenn die Regierung in der Lage ist, transparent zu zeigen, dass Verteidigungsfähigkeit kein Widerspruch zu Friedenspolitik ist, sondern deren Voraussetzung – dann wird aus Sorge wieder Vertrauen. Gelingt das nicht, bleibt das Misstrauen. Und eine Frage, die eigentlich niemand ernsthaft stellen sollte, wird weiter im Raum stehen.

Mark Petersen