Seit der russischen Invasion im Jahr 2022 hat die Ukraine, die lange als „Kornkammer Europas“ bekannt ist, nicht nur mit den direkten Folgen des Krieges zu kämpfen. Eine weniger sichtbare, aber ebenso bedeutende Bedrohung für die Zukunft des Landes ist die stille Übernahme von landwirtschaftlichem Boden durch mächtige Oligarchen und internationale Investoren. Der Bericht „War and Theft: The Takeover of Ukraine’s Agricultural Land“ des Oakland Institute beleuchtet die zunehmende Konzentration von ukrainischem Ackerland in den Händen weniger mächtiger Akteure.
Der Bericht zeigt, dass mehr als 9 Millionen Hektar Land – über 28 % der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche – von ukrainischen Oligarchen, großen Agrarunternehmen und westlichen Finanzinteressen kontrolliert werden. Zu den ausländischen Akteuren zählen Investoren aus Europa, Nordamerika und dem Nahen Osten, darunter der Staatsfonds von Saudi-Arabien und bedeutende US-Investoren. Zu den Hauptakteuren gehört auch NCH Capital, ein US-amerikanischer Private-Equity-Fonds, der eine Schlüsselrolle bei der Kontrolle der ukrainischen Agrarflächen spielt.
Die Rolle westlicher Finanzinstitutionen
Die finanzielle Unterstützung für die Ukraine, die seit 2014 von westlichen Ländern und Institutionen wie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und der Weltbank geleistet wird, ist häufig an strikte wirtschaftliche Reformen geknüpft. Ein zentraler Bestandteil dieser Reformen war die Landreform von 2020 unter Präsident Wolodymyr Selenskyj, die es erstmals seit 2001 wieder ermöglichte, landwirtschaftliche Flächen zu verkaufen. Die Reform wurde von der breiten ukrainischen Bevölkerung mit Skepsis betrachtet, da viele befürchteten, dass sie die Macht großer Agrarunternehmen und korrupter Akteure weiter festigen würde.
Laut dem Bericht des Oakland Institutes hat diese Reform zu einer weiteren Privatisierung und Liberalisierung des Agrarsektors geführt, die durch den wirtschaftlichen Druck und die Auslandsschulden des Landes noch verstärkt wird. Während Großunternehmen und ausländische Investoren Zugang zu Krediten und Investitionen erhalten, bleibt der Großteil der ukrainischen Landwirte, die für die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung unerlässlich sind, von diesen Ressourcen weitgehend abgeschnitten.
Eine Zukunft unter westlichem Einfluss?
Die Ergebnisse des Berichts werfen ernsthafte Fragen zur Zukunft der ukrainischen Landwirtschaft auf. Während das Land weiterhin mit den verheerenden Folgen des Krieges zu kämpfen hat, droht ein großer Teil seiner fruchtbaren Böden unter die Kontrolle ausländischer Investoren zu geraten. Diese Entwicklung könnte langfristig die Souveränität der Ukraine gefährden und die Machtkonzentration in der Landwirtschaft weiter verschärfen.
In der ukrainischen Zivilgesellschaft und unter Landwirten wächst der Widerstand gegen diese Entwicklung. Sie fordern eine Aussetzung der Landverkäufe und eine Rückkehr zu einem Agrarmodell, das auf Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit basiert, anstatt von Oligarchen und Finanzinstituten dominiert zu werden.
Die Frage, wer die Kontrolle über das Land behält, ist nicht nur für die Zukunft der ukrainischen Wirtschaft entscheidend, sondern auch für den Ausgang des Krieges und die Nachkriegsordnung. Denn während die Ukrainer im Krieg um ihr Land kämpfen, wird hinter den Kulissen möglicherweise bereits die Grundlage für eine neue Ära der Kontrolle durch westliche Finanzinteressen gelegt.
Fazit
Die stille Übernahme des ukrainischen Bodens durch westliche Investoren und Oligarchen wirft ernste Fragen über die zukünftige Kontrolle und Nutzung der fruchtbaren Böden des Landes auf. Während der Krieg das Land destabilisiert, scheinen Finanzinstitutionen und große Agrarunternehmen von der Notlage zu profitieren und ihre Macht zu konsolidieren. Die ukrainische Bevölkerung und ihre Landwirte fordern eine Wende in der Agrarpolitik, um sicherzustellen, dass das Land und seine Ressourcen dem Volk und nicht mächtigen ausländischen Akteuren zugutekommen.
Weitere Informationen findest du im Bericht des Oakland Institutes:
War and Theft: The Takeover of Ukraine’s Agricultural Land